Auf einen Blick: - Die Kultivierungstheorie befasst sich mit der langfristigen Wirkung von Massenmedien, vor allem des Fernsehens, auf die Wahrnehmung der sozialen Realität und das Verhalten von Einzelpersonen. - Längere Fernsehexposition führt zu einem gemeinsamen Verständnis der sozialen Realität, das als „Mainstreaming“ bezeichnet wird. - Die Anwendungen der Kultivierungstheorie erstrecken sich auf verschiedene Medienplattformen, darunter Fernsehen, soziale Medien und Videospiele.
Entstehung und Werdegang der Kultivierungstheorie: - George Gerbner entwickelte die Kultivierungstheorie in den 1960er Jahren als Antwort auf die Medienforschung, die sich ausschließlich auf die unmittelbaren Auswirkungen einzelner Medienexpositionen konzentrierte. - Gerbner wollte den kumulativen Einfluss von Massenmedien auf gesellschaftliche Überzeugungen und das gemeinsame Bewusstsein untersuchen.
Schlüsselkonzepte der Kultivierungstheorie: - Mainstreaming: Umfassendes Fernsehen führt dazu, dass Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund aufgrund wiederkehrender Medienbotschaften ähnliche Überzeugungen über die soziale Realität haben. - Resonanz: Die Abstimmung von Medienbotschaften auf die persönlichen Erfahrungen eines Individuums verstärkt die Kultivierungseffekte und bekräftigt medienbedingte Überzeugungen. - Effekte der Kultivierung erster Ordnung: Häufige Fernsehzuschauer können ungenaue Überzeugungen über die soziale Realität entwickeln, wie etwa übertriebene Wahrnehmungen von Kriminalitätsraten oder die Prävalenz bestimmter Berufe. - Effekte der Kultivierung zweiter Ordnung: Ein anhaltender Medienkonsum kann die Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen von Individuen verändern und so ihre Weltanschauung und ihr Selbstverständnis umgestalten.
Kultivierungstheorie im Zeitalter der sozialen Medien: - Die Kultivierungstheorie wurde auf die Nutzung sozialer Medien angewendet, da diese einen idealisierten und sorgfältig kuratierten Lebensstil darstellen. - Die Nutzung sozialer Medien kann die Wahrnehmung gesellschaftlicher Normen, Beziehungen und des Selbstwertgefühls der Nutzer beeinflussen. - Während der COVID-19-Pandemie spielten soziale Medien eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der öffentlichen Wahrnehmung und Überzeugungen in Bezug auf die Gesundheitskrise.
Stützende Beweise: - Zahlreiche Studien belegen Gerbners Behauptungen hinsichtlich des Einflusses des Fernsehens auf die Wahrnehmung der sozialen Realität der Zuschauer. - Untersuchungen zeigen, dass intensive Fernsehzuschauer dazu neigen, Kriminalitätsraten, Gewalt und das Vorhandensein bestimmter Berufe im Vergleich zu den tatsächlichen Zahlen zu überschätzen. - Studien deuten darauf hin, dass intensive Fernsehzuschauer unter dem „Mean World Syndrom“ leiden können, das durch die Überzeugung gekennzeichnet ist, dass die Welt gefährlicher ist, als sie tatsächlich ist.
Kritische Perspektiven: - Kritiker argumentieren, dass die Kultivierungstheorie die komplexe Beziehung zwischen Medien und Publikum zu stark vereinfacht. - Einige Wissenschaftler stellen die Annahme in Frage, dass Zuschauer passive Empfänger von Medienbotschaften sind, und betonen ihre aktive Rolle bei der Interpretation und Infragestellung dieser Botschaften. - Die Theorie könnte individuelle Unterschiede im Medienkonsum übersehen, wie etwa die selektive Exposition gegenüber Inhalten, die mit bestehenden Überzeugungen übereinstimmen. - Die Kultivierungseffekte können je nach Faktoren wie Genre, individueller Anfälligkeit und kulturellem Kontext unterschiedlich ausfallen.
Trotz der Kritik bleibt die Kultivierungstheorie ein wichtiger Rahmen für das Verständnis des allgegenwärtigen Einflusses der Medien auf Einzelpersonen und die Gesellschaft. Sie betont die Rolle der Medien bei der Gestaltung öffentlicher Wahrnehmungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen und ist daher für Medienforscher und politische Entscheidungsträger von unschätzbarem Wert.